Die rote Mütze gehörte zu Kempes Uniform. Kempe war Celles Dienstmann "Nr. 1" und auch sein letzter Dienstmann. Otto hatte dieses Gewerbe trotz Ausbildung zum Schuster von seinem Vater übernommen, der es 1908 für Celle anmeldete. Zu dieser Zeit war Dienstmann ein bekannter und üblicher Beruf. Bereits um das Jahr 1900 wuchs in Deutschland nicht nur der industrielle Sektor, sondern auch das Dienstleistungsgewerbe. Dies war Ausdruck der Verstädterung und des steigenden Wohlstands von Bürgertum und Mittelschicht. Vor allem in den 1920er Jahren übten immer mehr Menschen eine Dienstleistungsarbeit aus.
Dienstmänner warteten meist an öffentlichen Plätzen mit viel Publikumsverkehr auf Kundschaft. Dabei waren sie an ihrer Uniform zu erkennen, die in großen Städten wie Wien sogar gesetzlich vorgeschrieben war. Meist gehörte dazu eine rote Mütze wie bei Otto Kempe. Die Kunden beauftragten die Dienstmänner mit Tätigkeiten wie Botengängen, dem Transport von Möbeln, Einkäufen oder Koffern, Besorgungen aller Art oder Umzügen.
Auf welche Weise die Dienstmänner ihre Tätigkeiten vollbrachten, war ihnen überlassen. Otto Kempes Vater nutzte einen Hundekarren, da für andere Transportmittel kein Geld da war. Otto selbst prägte das Celler Stadtbild auf seinem Pferdefuhrwerk und dem Fahrrad, das noch heute im Bomann-Museum zu sehen ist.
Für seine letzte Fahrt brachte Kempe ein Schild an seinem Fuhrwerk an, mit dem er sich bei seiner Kundschaft bedankte. Humorvoll ließ er dort verlauten "Gott schuf die Zeit, von Eile hat er nichts gesagt!" Eine Anspielung auf seinen gemächlichen, aber auch umsichtigen Fahrstil.
Otto Kempe gab sein Geschäft als letzter Celler Dienstmann 1973 auf. Noch im selben Jahr verstarb er. Das Ende der Dienstmänner bedeutete aber nicht das Ende des Dienstleistungssektors. Heute ist der tertiäre Sektor in Deutschland - wie in den meisten Industrienationen - der größte Wirtschaftsbereich. Denn der weiter wachsende Wohlstand in den führenden Industriestaaten sowie immer mehr Technik und Mechanisierung führt zu einer immer größeren Nachfrage nach Dienstleistungen. Die Bedürfnisse bestehen also weiter, sie haben sich nur verändert. Tatsächlich ist unsere Nachfrage nach Dienstleistungen heute so hoch und vielfältig, dass häufig bereits über den Dienstleistungssektor hinaus über den quartären und quintären Sektor gesprochen wird.
Wie wird es in Zukunft aussehen? Wie wird sich das Bedürfnis nach Dienstleistung entwickeln? Führt die Covid-19-Pandemie nach einer noch größeren Nachfrage? Und wer wird dieses Bedürfnis wie befriedigen?
