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04.11.2021

Museumssnack

Die Liste der historischen Ereignisse in Celle ist ellenlang… Moment… Woher kommt eigentlich dieser merkwürdige Begriff: ellenlang? Was ist eine Elle? „Ellenlang“ stammt vom menschlichen Unterarmknochen, der Elle, ab. Als Länge der Elle setzte man entweder die Spanne vom Ellbogen bis zur Handwurzel oder bis zur Spitze des Mittelfingers fest. Das konnte man von Ort zu Ort unterschiedlich definieren. So oder so diente die Elle dann als eines der ältesten Naturmaße der Welt, das vermutlich bereits die Ägypter beim Bau ihrer Tempel nutzten. Der Vorteil eines solchen Maßes liegt auf der Hand: Einen Zollstock hat nicht immer jeder dabei, seinen Unterarm aber schon. Und so kann man jederzeit und an jedem Ort vermessen. 

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Auch in Celle war die Elle tagtäglich in der Benutzung, etwa durch Schneider oder Tuchhändler. Im Jahr 1693 setzte Herzog Georg Wilhelm dann fest, dass in seinem Herrschaftsgebiet eine Elle genau 57,3 cm lang zu sei. Vermutlich diente sein eigener Körper als entscheidende Referenz. Geboren war die Celler Elle, die der Herzog für alle Untertanen sichtbar und prüfbar am Celler Rathaus befestigte, und die man noch heute bei uns im Museum sehen kann. Erst 1875 wurde die Elle durch den Meter ersetzt. Aber warum sah sich Georg Wilhelm überhaupt genötigt, die Länge einer Elle festzusetzen? Jeder Mensch hat doch eine Elle und kann ihre Länge stets selbst bestimmen. 

Das Problem der Elle war das gleiche, wie bei den Maßen Fuß oder Daumenbreit: Nicht alle Menschen sind gleich. Es gibt Große und Kleine, Dicke und Dünne. Entsprechend sind auch die Unterarme der Menschen unterschiedlich lang. Die Ellenlänge konnte von Ort zu Ort und Person zu Person anders sein. So konnten Händler an unterschiedlichen Marktplätzen den gleichen Preis für zehn Ellen Tuch zahlen, aber die Menge die sie bekamen, war unterschiedlich. Und auch an eine gleichmäßige und gerechte Besteuerung war nicht zu denken, wenn man nicht einheitlich messen konnte, wie viel Land jemand besaß. Schließlich war es nicht unkompliziert ein Haus auf ein Grundstück zu setzen, wenn die Elle von Bauherr und Zimmermann unterschiedlich war. Man kam nicht umher: Ein gleiches Maß musste her!

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Nur war er Georg-Wilhelm nicht der einzige, der die Länge einer Elle festlegte. Jeder Herrscher seiner Zeit sah es als sein Recht an, die Maßeinheiten auf seinem Hoheitsgebiet festzusetzen, wie es ihm beliebte. Und es war die Entscheidung allein des Herrschers, ob und wann er diese Festsetzungen änderte. Auch Länge und Gewicht waren also der Willkür des Absolutismus unterworfen. Und wie dem Absolutismus machte auch diesem Chaos an Maßen die Aufklärung den Gar aus. 

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Noch während Georg-Wilhelm seinen hochherrschaftlichen Unterarm zum Maß aller Dinge erklärte, forderten Wissenschaftler aus Großbritannien, den Niederlanden, Frankreich und etwas später den USA ein einheitliches, internationales System an Maßeinheiten, das sich allein an unveränderlichen und von allen nachvollziehbaren Phänomen der Natur orientierte. Im Zuge der französischen Revolution wurden schließlich zwei Astronomen ausgeschickt, die Strecke vom Nordpol zum Äquator zu vermessen, damit der zehnmillionste Teil dieser Strecke als Referenz für den Urmeter genutzt werden konnte. Das Unterfangen dauerte sieben Jahre und ging nicht ohne Rechenfehler vonstatten. So war der Urmeter nicht der zenhmillionste Teil der Strecke vom Nordpol zum Äquator. Er war 0,02 mm kürzer. Dennoch gilt der damals in Platin gegossene Urmeter bis heute als Referenz in alle Länder der Welt, außer Myanmar, Liberia und die USA. 

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Die Schaffung neuer Maßeinheiten durch die Französische Revolution war letztlich ein politischer Akt. Nur dadurch war ein moderner Staat möglich, der einen Binnenhandel aufweist, der über eine funktionierende Verwaltung mit gelingender Kommunikation verfügt und landesweit Steuern erhebt. Deswegen beschlossen 16 Länder 1875 – darunter das Deutsche Kaiserreich – sich dem metrischen System anzuschließend. Das Recht, diese wichtigen Maße willkürlich festzusetzen, sprachen die Revolutionäre den Herrschern wie Georg-Wilhelm ab. Sie wollten auf Basis der Wissenschaft ein für die ganze Welt gültiges, universelles System an Maßeinheiten schaffen, das immer für alle gleich war und nachvollziehbar war. Das System war daher ein demokratisches System. Das lässt sich nicht zuletzt daran erkennen, dass noch heute alle Referenzmeter und –kilos in regelmäßigen Abständen nach Paris geschafft werden, um dort mit dem Urmeter und Urkilo verglichen und geeicht zu werden. Unmittelbar nach der Französischen Revolution und der Zeit Napoleons aber, während der Restauration in Europa, wurde das metrische System zunächst als revolutionär verboten und die alten Maße wieder eingeführt. 

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Und heute? Noch immer jagen Wissenschaftler dem Ideal universell gültiger, unpolitischer und unveränderlicher Maßeinheiten nach. Das ist für uns alle von großer Bedeutung, nicht nur wegen unserer Steuern. Moderne Medikamente basieren beispielsweise darauf, dass man ihre Bestandteile bis auf kleineste Mengen sehr genau abmessen kann. Urmeter und Urkilo sind natürlichen Schwankungen unterworfen und daher als Referenz für solche Zwecke ungeeignet. Mittlerweile definiert sich der Meter daher als Strecke, die das Licht in 1/299.792.458 Sekunden zurücklegt, und das Kilo als bestimmte Anzahl von Silicium-Atomen. Doch es wird auch deutlich: Es gibt keine natürlich vorhandenen Maße. Ein Maß ist eine festgelegte Referenzgröße, die Menschen bestimmen und auf die sie sich gemeinschaftlich einigen. So wurde der Rechenfehler, den man beim Urmeter beging, nie korrigiert. Auch nicht bei der Definition über die Lichtgeschwindigkeit. Nicht die Genauigkeit ist von Bedeutung, sondern dass man gemeinschaftlich sagt: So lang ist der Meter! Eigentlich klingt das nicht viel anders, als bei Georg-Wilhelm und der Celler Elle. Und doch hat sich einiges verändert seitdem…